Christin Nichols hat ihr langerwartetes zweites Soloalbum “Rette sich wer kann” veröffentlicht. Und es ist schon ein bisschen unverschämt, was diese Frau in einem einzigen Leben so alles unterbringt. Immerhin ist die Berlinerin nicht nur Musikerin, sondern auch Schauspielerin mit Fernseh- und Theatererfahrung, Synchronsprecherin und hauptberufliches Badass Girl, das dem blöden System nur zu gern mit Killerlächeln den Mittelfinger zeigt. Das Wundervollste an ihr ist allerdings, dass sie noch nicht mal so tut, als ob dabei immer alles perfekt laufe.
Nichols’ Solo-Debu?t “I’m Fine”, erschien Anfang 2022 und war genau das Album, das die Gitarrenmusik in Deutschland dringend brauchte: gnadenlos souverän, aber immer auch durchlässig und zart, wu?tend und wehmu?tig, dazu voller großer Melodien und Songs, die von der Netz- und Popkultur der Gegenwart genauso beeinflusst sind wie von Post Punk und Wave.
Für ihr neues Album probierte Nichols neue Sounds aus wie Kleider. Und diese Kleider stehen ihnen gut, den großen Themen des Albums, die immer auch Nichols‘ Lebensthemen sind: Feminismus, Hedonismus, Aktivismus. Selbstliebe. Zu der gehört auch, nur auf sich zu hören, den eigenen Ideen vertrauen. Wobei: Ganz allein ist Nichols, die auf jeder Bu?hne und in jeder Bar eine Art ganz natu?rliches Kraftfeld um sich zu erzeugen weiß, natu?rlich nie. Erneut hat sie mit Stephan Ernst zusammengearbeitet, zum ersten Mal auch mit Feature-Gästen wie Julian Knoth (Die Nerven) oder Rapper Fatoni, mit dem Nichols auch den gleichnamigen Titeltrack zum Album “Rette sich wer kann“ geschrieben hat. Simeon Cöster von Isolation Berlin saß am Schlagzeug.
Wie schön eine Welt aussehen könnte, in der alle gemeinsam mit Bierchen, Kippe und viel Liebe an den Grundfesten des Patriarchats ru?tteln, kann man sich auf Nichols’ Konzerten anschauen. Jede ihrer Live-Shows, ist eine große, glitzernde Partys der Solidarität. Ihr neues Album fu?hlt sich an wie ein Abend mit der besten Freundin, wenn man ihn am dringendsten braucht: wärmend, ehrlich.
Todesspaßig und tieftraurig. Wenn der Weltuntergang vorbei ist, nimmt Nichols auf ihrem Boot alle mit, die mitfahren wollen. Vielleicht braucht man nicht mal einen sicheren Hafen, sondern fährt gemeinsam einfach weiter. Immer auf der Suche nach Antworten, die man eigentlich gar nicht braucht. Weil alles schon da ist.